Hochgeachteter Herr Zunftmeister

Hochgeachtete Herren Altzunftmeister

Verehrte Herren Zünfter

Geschätzte Gäste

Ich freue mich sehr, hier an diesem traditionellen Anlass der Zürcher Zünfte Ihr Gast sein zu dürfen. Ob es mit der Erhaltung der Artenvielfalt und dem UNO-Jahr der Biodiversität zu tun hat, dass man heute einen Freisinnigen aus einem kleinen, ursprünglich CVP-dominierten Kanton eingeladen hat, das ist mir nicht bekannt. Vom Aussterben bedroht ist jedenfalls weder NW noch die FDP NW… Es ist für einen waschechten Nidwaldner ein erhabenes Gefühl, in Ihren Reihen sitzen zu dürfen, umrahmt vom Zunftmeister und anderen Würdenträgern, und sich dabei wohl zu fühlen. So wohl, dass ich Ihren ehrenwerten Zunftmeister nun nicht mit „3 Chünge“ oder gar „3 Chüngel“ foppen werde.

Wie Sie ja von Ihrem hochgeachteten Herr Zunftmeister erfahren haben, habe ich durch meine Tätigkeiten im Militär und in der Politik viel Erfahrung mit unserem Milizsystem und werde sie nun auch als Regierungsrat weiter ausbauen können. Miliz ist ja auch für Sie als Zünfter kein Fremdwort. Die Miliz lebt vom Tatbeweis – in der Armee wie auch in der Zunft. Aber sicher ist der Zweck des Tuns einer Zunft nicht der gleiche ist wie jener der Armee, obwohl ja beide auf der Einsicht in die grossen Vorzüge des gemeinsamen Wirkens und verbindender Werte basieren. Ich bin der Meinung, dass wir einfach zu unseren gemeinsamen Werten Sorge tragen sollten und wünsche mir, dass dies nicht nur von uns Nidwaldner Politiker gemacht sondern auch von Ihnen, Hochgeachteter Herr Zunftmeister aber natürlich auch von Ihnen, Herr Brigadier, und dass Sie die Armee wieder dorthin bringen, wo sie zu meiner Zeit war.

Gerne erinnere ich mich an meine 10 Jahre in Ihrer schönen Stadt zurück, die ich nicht missen möchte. Damals war ich immer Zaungast an Ihrem schönen Frühlingsfest und zog mit Freunden ums Bellevue. Und heute darf ich als Ihr Gast mit Ihnen diesen traditionellen Brauch feiern, was für mich eine grosse Ehre ist. So kurz nach dem Dalai Lama als Ehrengast aus einer anderen kleinen, gebirgigen Region in Zürich empfangen zu werden – das fühlt sich echt toll an. Ich hoffe aber, dass Sie jetzt nicht von mir erwarten, dass ich den Umzug heute barfuss absolvieren werde…

Meine ersten Eindrücke in Zürich damals waren zwar aufregend, aber nicht nur angenehm. Kaum jemand wusste, wo Nidwalden liegt, geschweige denn meine Heimatgemeinde Hergiswil. Immer wieder wurde ich nach Graubünden oder ins Tessin verpflanzt. An die immer wiederkehrenden Fragen, ob wir denn bei uns schon Telefone hätten und ob wir unsere Hütten noch mit Steinblöcken sicherten, habe ich mich dann doch gewöhnt und nahm sie gelassen hin. Denn im Gegensatz zu meinen Gesprächspartnern wusste ich ja, wo Zürich liegt. Wer also war da der Hinterwäldler? Schon schnell hat mich ihre pulsierende Stadt aber fasziniert und ich schloss in den folgenden Jahren viele Freundschaften, die mir noch heute viel bedeuten. Klar musste ich mich an gewisse Phänomene gewöhnen, die wir in Nidwalden damals so noch nicht kannten. Im wunderschönen Odeon, das ich oft naiv und unwissend besuchte, habe ich mich immer wieder gewundert über die vielen vermeintlich zufälligen Griffe an meinen Allerwertesten. Nachdem mich dann meine Zürcher Freundinnen und Freunde lachend aufgeklärt haben, bin ich dann in andere, weniger schwüle Lokale ausgewichen!!

Kleine Anfangsschwierigkeiten gab es hier auch mit meinem Dialekt, der doch einige Besonderheiten aufweist. Aber ich bin überzeugt, dass Sie mich auch ohne aufwändige Simultanübersetzungen verstehen. Unser einzigartiger Dialekt kennt nämlich kein Ü und kein Ö. Nidwaldner sagen dafür I und E. Und ein langes U machen wir zu einem schungvollen UI. Wir sagen also nicht „Es Buurebüebli man i nöd!“, sondern „Es Buirebiebli mag i nid!“, Ueli MuIRer, nicht Ueli Maurer. Und als schweizweite Rarität benutzen Nidwaldner vielfach für die Verniedlichung das Anhängsel „..ILI“. So nennen wir zum Beispiel einen kleinen Vogel „VegILI“, ein junges Hühnchen „BibiLI“ und einen bekannten Zürcher Politiker „MergILI“.

Apropos „Bibili“ – zur Vorbereitung meiner Ansprache habe ich mich natürlich etwas über Ihren Kanton informiert und viel Spannendes herausgefunden. So leben im Kanton Nidwalden bloss 12’400 Rindviecher, in Zürich aber über 90’000. Da stellt sich durchaus die berechtigte Frage, wer von beiden hier der Berg- und Bauernkanton ist. Ob das aussagekräftig ist oder nicht, das überlasse ich Ihnen. Hühner und Bibili hingegen sind bei uns über 38’000 anzutreffen, bei Ihnen bedeutend weniger. Da frage ich mich natürlich ernsthaft, ob Ihr Carl Hirschmann im richtigen Jagdgebiet wildert!? Vielleicht macht er es aber bewusst, da bei uns seine Konkurrenz naturgemäss etwas kräftiger und grösser ist. Zudem leben bei uns noch 190 Hirsche in freier Wildbahn! Aber Hirschmann und die freie Wildbahn, das ist ja eine andere Geschichte, die ich wohl besser bilateral mit Ihrem hochgeachteten Herrn Zunftmeister erörtere. Sein kriminalistischer Spürsinn scheint ja ausgeprägt zu sein, wenn man seine Vita studiert.

Aber nichts desto trotz kann man schnell einige Gemeinsamkeiten zwischen unseren Orten feststellen. So kennen auch wir bei uns Zünfte. In unserem Hauptort gibt es sogar deren zwei: „Unüberwindlichen Grossen Rat von Stans“ und den „Kleinen Rat von Stans“. Der kleine Rat setzt sich aus Handwerkern, Kaufleuten, Geschäftsinhabern und Politikern zusammen und wurde damals als Gegenpol zum „Unüberwindlichen Grossen Rat“ gegründet, weil dieser nur Aristokraten und wenig liberale Gewerbler in seinen Reihen wollte. In den Statuten des Kleinen Rats steht daher seit seiner Gründung klipp und klar: „Der Kleine Rat hat den Zweck, den Grossen Rat an Zwecklosigkeit zu übertreffen.“ Ich hoffe doch, dass ihre Statuten doch noch wichtigere Zwecke enthalten.

Wir Nidwaldner sind offene, aufgeschlossene und weitsichtige Bürger – wir haben kein Brett vor dem Kopf, keinen Pilatus oder Seelisberg vor der Nase, sondern freien Blick über den See nach Luzern, Zug und weiter bis nach Zürich. Diese Offenheit hat uns und unsere Vorfahren geprägt, die unseren Kanton in den letzten 200 Jahren seit dem Überfall der Franzosen erfolgreich geführt haben. Diese Vorfahren sind schon früh Richtung Zürich oder über den Gotthard ausgeschwärmt – als Handwerker oder Söldner – und mit dem Rissäckli voller Goldstücke zurückgekommen. Nicht etwa mit Merlot und Trockenfleisch, wie die Tschifeler aus unserem Nachbarkanton Obwalden. Vermutlich ist dies auch der Grund, wieso Nidwalden und besonders Hergiswil noch heute finanzstark sind und aktiv zum Schweizerischen Finanzausgleich beitragen.

Lassen Sie mich noch einige verbindende Punkte erwähnen. Beginnen wir mit der Zürcher Stadtratswahl vom vergangenen 7. März. Einer der neu gewählten Stadträte heisst André Odermatt. Das kann einem politisch gefallen oder nicht. Aber mit Nidwalden hat es schon was zu tun. Odermatt ist ein altes Nidwaldner Geschlecht. Die Odermatts gehören quasi zu den „Ureinwohnern“ Nidwaldens und sind in unserem Kanton seit dem 14. Jahrhundert nachgewiesen. Aber es kommt noch besser: Die Odermatt stammen gemäss ihrer Sage vom Geschlecht des Winkelrieds ab. Sie kennen natürlich Arnold von Winkelried, den legendären Helden der Schlacht bei Sempach, der sich in die Speere der Habsburger geworfen und so eine Gasse für seine Freunde gemacht hat und ihnen so zum Sieg verholfen hat. Böse Zungen sagen auch, er wäre von seinen Freunden hineingestossen worden. Aber wichtig ist nun, dass Sie wissen, dass der Nidwaldner Schlachtenheld also ein Vorfahre ihres neuen Stadtrates ist. Wenn Andre Odermatt tatsächlich etwas von Winkelrieds Blut in seinen Adern hat, dann darf man gespannt sein, wie er mit den Spitzen seiner politischen Gegner umgehen wird. Also aufgepasst, liebe Zürcher!

Aber auch unsere Regierung und ihre Zunft haben Gemeinsamkeiten. Bei Ihnen lautet die korrekte Anrede für den Zunftmeister: „Hochgeachteter Herr Zunftmeister“. – „Hochgeachteter Herr“, das ist nun nicht irgendeine Anrede. Mit diesem Titel wurde in Nidwalden während Jahrhunderten an der Landsgemeinde der Landammann, seines Zeichens Präsident des Regierungsrates, angesprochen. Wenn sich an der Landsgemeinde ein Politiker oder jemand aus dem Volk zu Wort meldete, so wurden die Anwesenden im Ring mit dem Satz begrüsst: „Hochgeachteter Herr Landammann, hohe Geistlichkeit, getreue, liebe Landleute!“

1996 wurde die Landsgemeinde in Nidwalden abgeschafft. Schade ist, dass damit auch viel politische Originalität und Lebendigkeit verloren gegangen ist. Ich kann mich an einen Spruch erinnern, der den ganzen Landsgemeindering zum Lachen brachte. Auslöser dafür war folgende Szene: Ein altes Bauernmännchen betritt das Rednerpult, das so genannte „Härdplättli“, und will sich zu den anstehenden Regierungsratswahlen äussern, zu welchen erstmals auch ein Vertreter der Grünen Partei antritt. Nun kommt das Bäuerchen zum Rednerpult, begrüsst die Anwesenden und beginnt einen flammende Rede gegen den grünen Kandidaten, der im Ausspruch gipfelt: „Lieber ein Haus im Grünen als ein Grüner im Haus!“. Auch das kann einem politisch gefallen oder nicht. Aber mit diesem Auftritt hat er damals den Einzug der Grünen in die Regierung verhindert. Wenn Sie bei den nächsten Stadtratswahlen die rot-grüne Mehrheit reduzieren wollen, könnten Sie ja mal zu uns nach Nidwalden kommen. Wir hätten sicherlich noch ein paar Tipps.

Sie sehen – andere Orte, andere Sitten! Das erlebten wir die letzten Tage ja auch mit der Riesenwolke aus Island. Aber wenn Sie mich fragen: ich finde diesen vorzeitigen Sechseläuten-Ausbruch des ehemaligen Finanzparadieses sehr bedenklich. So habe ich aus einschlägigen Quellen erfahren, dass sich die Gegner der lauten Südanflüge mit den Gegnern des gekröpften Nordanflugs zusammengeschlossen haben mit dem Ziel, das Sechseläutenfeuer zu nutzen und womöglich über Jahre am motten zu halten um so alle Anflüge auf Zürich zu verunmöglichen. Seien Sie also auf der Hut, meine lieben Zürcher, dass Ihr Brauchtum nicht von Zürcher Umweltaktivisten und Globalisierungsgegner missbraucht und zu einer zweiten 1. Mai Demo ausgebaut wird.

Berührungspunkte zwischen Zürich und Nidwalden gibt es übrigens auch in jüngerer Zeit. So wurde 2003 im Nidwaldnerischen Kehrsiten am Vierwaldstättersee eine Siedlung von Pfahlbauern entdeckt, die vor gut 5000 Jahren bestanden hat. Erst vor wenigen Wochen geschah ähnliches in der Stadt Zürich, und erst noch fast in der Nähe vom Sechseläutenplatz. Auch hier haben Archäologen eine 5000 Jahre alte Siedlung gefunden, die in diesem Jahr noch genauer untersucht wird. Was aber jetzt schon feststeht: Wie in Kehrsiten stammen auch die Keramikfunde in Zürich aus der so genannten Horgener Kultur. Dies bezeugt also, dass es damals bereits Beziehungen zwischen dem Gebiet der heutigen Stadt Zürich und dem Kanton Nidwalden gegeben hat. Und hätte man die Funde in Nidwalden vor jenen in Horgen entdeckt, so würde man heute von der Nidwaldner Kultur reden, die in der Jungsteinzeit auf und um die Sechseläutenwiese ihre Spuren hinterlassen hat. Mir würde das schon gefallen, wenn das Sechseläuten seine Wurzeln in Nidwalden hätte!

Bevor ich nun vollends übermütig werde oder die Archäologen über mich herfallen, komme ich zum Schluss meiner Rede und einem Ausblick in die Zukunft des Sechseläuten. Sollten Sie 2011 wegen den Ausgrabungen rund ums Opernhaus noch immer Platzprobleme habe – man weiss ja nie, was die Nidwaldner damals hier so alles liegen gelassen haben – dann stellen wir Ihnen gerne den schönen Stanser Dorfplatz mit dem bekannten Winkelried-Denkmal zur Verfügung. Damit Sie sich geschmacklich schon mal darauf vorbereiten können, überreiche ich Ihnen das Reissäckli mit leckeren Nidwaldner Spezialitäten.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, wünsche Ihnen, hochgeachteter Herr Zunftmeister, liebe Zünftler und Gäste ein unvergessliches Sechseläuten und für die Zukunft Wohlergehen und viele fröhliche Stunden.