Geschätzte Mitglieder der Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich freue mich, Sie im Namen der Zentralschweizer Industrie- und Handelskammer an unserem Neujahrsapéro begrüssen zu können. Ich hoffe, dass Sie alle gut ins neue Jahr gestartet sind und freue mich, dass Sie in so grosser Zahl in den Schweizerhof gekommen sind!

Im Anschluss an meine Rede am letztjährigen Neujahrsapéro erhielt ich einige Feedbacks aus Ihren Reihen. Zwei sind mir in besonderer Erinnerung geblieben, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Da sagte mir ein Zuhörer, dass er meine Ansprache super gefunden habe. Dies vor allem deshalb, weil sie so kurz gewesen sei… Das habe ich mir auch für diese Rede vorgenommen. Ein zweiter sagte, eigentlich sei ihm nur etwas aufgefallen, nämlich dass sich die Unternehmer und Wirtschaftsleute der Zentralschweiz auch im kommenden Jahr engagieren sollen!

Diese Rückmeldungen haben mich gefreut – und mich beim Verfassen meiner diesjährigen Ansprache inspiriert. Darum rufe ich Sie gleich wieder auf: Engagieren Sie sich bitte auch in Zukunft und bringen Sie sich ein in den gesellschaftlichen Diskurs und in die Diskussionen, die aktuell geführt werden. Erlauben Sie mir, Ihnen kurz aufzuzeigen, warum ich unser entschlossenes Engagement als äusserst notwendig denn je erachte.

Ich hole nicht weit aus und lasse das vergangene Jahr nur ganz kurz Revue passieren – ich sage an dieser Stelle bloss drei Stichworte

  • Februar 2014 mit dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative der SVP
  • SIKA-Verkauf durch die Besitzerfamilie an ein französisches Unternehmen
  • unsere Nationalbank wird per 22. Januar 2015 Negativzinsen einführen

Zu jedem von diesen drei Themen könnte man einen abendfüllenden Vortrag halten, denn sie zeigen auf, in welchem schwierigen Kontext wir uns bewegen und dass wir trotz einer florierenden Wirtschaft auf der Hut bleiben müssen.

Oder die sogenannte „Energie-Strategie 2050“, die Anfang Dezember im Nationalrat behandelt wurde. Diese Strategie, die diesen Namen eigentlich nicht verdient, wirft mehr Fragen auf, als dass sie beantwortet, da die darin formulierten Ziele vermutlich nicht erreicht werden können und ihre Kosten völlig im Dunkeln bleiben. Per Dekret soll die Schweizer Bevölkerung also im Jahre 2035 gleich viel Energie verbrauchen wie zu Beginn der 1970er Jahre. Aber mit welcher Energie wir die Errungenschaften unseres Wohlstandes speisen sollen, wird nicht gesagt. Es wird auch nicht angedeutet, dass wir allenfalls auf einige Errungenschaften verzichten müssen. Aber es wird gefordert, dass jeder Haushalt zur Rechtfertigung seines Mobilitäts- und Energieverhaltens gezwungen werden soll, was die Bürokratie mit Sicherheit stark erhöhen wird. Gleichzeitig sollen mit der sogenannten Strategie massive Subventionen an Technologien ausgeschüttet werden, die ohne Staatshilfe nicht überlebensfähig sind. Ist das wirklich wirtschaftsfreundlich?

Aufgepasst, geschätzte Damen und Herren, diese überteuerte Förderung von erneuerbaren Energien setzt die Versorgungssicherheit unseres Landes aufs Spiel. Es ist nun einmal eine Tatsache, dass wir ohne konstante Bandenergie in eine Stromlücke laufen werden. Wir wissen heute noch nicht, wie wir überleben werden, trennen aber schon mal zur Sicherheit unsere Nabelschnur durch! Denn was uns in Zukunft an inländischem Strom fehlen wird, das soll dann durch deutschen Kohlestrom oder französischen Atomstrom wieder ausgeglichen werden. Das ist doch absurd und scheinheilig und obendrein akzeptieren wir, dass wir unsere Versorgungsautonomie einfach so auf’s Spiel setzen.

Geschätzte Anwesende, Sie sehen, ich schaffe es auch dieses Jahr nicht, Ihnen meine Message in einer Minute darzulegen. Zu vieles passiert um uns herum, wo wir nicht einfach wegschauen können! Auch zum eben begonnenen Jahr 2015 gäbe es sehr Vieles zu sagen und den Warnfinger in die Höhe zu strecken. Ich fokussiere mich aber lediglich auf die m.E. wichtigste Abstimmung: Die Erbschaftssteuer-Initiative kommt im Juni vors Volk. Sie wurde vom National- und Ständerat klar abgelehnt und eine Annahme könnte uns noch schlaflose Nächte bescheren. Diese Initiative belastet vor allem Familienunternehmen bei der Nachfolgeregelung schwer. Tausende dieser Unternehmen sind gefährdet – und damit auch ihre Arbeitsplätze. Denn wenn 20 Prozent des Unternehmenswerts von den Erben für die Bezahlung der hohen Steuer zur Verfügung gestellt werden müssen, dann fehlt dieses Geld logischerweise anderswo im Betrieb. Notwendige Innovationen bleiben auf der Strecke und Arbeitsplätze können nicht erhalten, geschweige denn neue geschaffen werden. Fazit: die Vorlage schafft vor allem Verlierer – und verdient an der Urne deshalb ein klares Nein! Darum muss die Wirtschaft die Vorlage geschlossen und mit aller Kraft bekämpfen.

Ich frage mich, warum wird das „Erfolgsmodell Schweiz“ immer wieder so leichtfertig in Frage gestellt, wie jetzt wieder bei der Erschaftssteuer? Warum gibt es so viele Tendenzen, die unserem bewährten Erfolgsmodell Schaden zufügen wollen?

Wir müssen aufpassen, dass uns die Errungenschaften der letzten Jahre und Jahrzehnte nicht wieder verloren gehen, meine Damen und Herren. Wer anlässlich der gelungenen Verleihung des Innovationspreises der IHZ am 5. Dezember im Forum D4 Business Village in Root an die Firma Geistlich Pharma AG dabei war, der konnte einen eindrücklichen Vortrag des Zukunfts- und Innovationsforschers Hannes Rohner erleben. Seine Rede mit dem Titel „Innovation ist wie eine Schwangerschaft“ fand ich mitreissend und sehr inspirierend. Aber seine Wahrnehmung und Einschätzung der aktuellen Lage und fortschreitender Tendenzen hat mich aufgerüttelt. Er zeigte unter anderem eine Folie mit den unternehmerischen Tugenden. In grünen und roten Balken war dargestellt, welche Tugenden in der allgemeinen Wahrnehmung bisher wichtig für unser Land waren und welche Tugenden für den künftigen Erfolg von schweizerischen Unternehmen entscheidend sein werden. Die stärksten Unterschiede waren genau bei jenen Tugenden auszumachen, die meines Erachtens entscheidend sind für das Erfolgsmodell Schweiz.

  • Qualität – also Arbeit richtig und mit Sorgfalt erledigen.
  • Disziplin, Zuverlässigkeit und Pflichbewusstsein.
  • Aber am allerstärksten war der Unterschied zwischen „bisher“ und „künftig“ bei Pünktlichkeit und Termintreue. Da läuten bei mir alle Alarmglocken, geschätzte Anwesende!

Ausgerechnet die Tugenden, die uns von ausländischen Konkurrenten und Mitanbietern unterscheiden, ausgerechnet diese Tugenden sollen in Zukunft weniger wichtig sein. Warum sollte dann noch bei uns in der Schweiz produziert werden? Sicher nicht wegen des schönen Bergpanoramas. Und sicher auch nicht wegen der Preise – denn die werden sich nicht so schnell ändern.

Ergänzend zu den erwähnten Beispielen zeigte Hannes Rohner in seinem Vortrag auf, dass andere Faktoren wie Transparenz, Offenheit, Toleranz, Menschlichkeit, Nachhaltigkeit und Ökologie für die Menschen in unserem Land immer wichtiger werden. Ich finde auch, dass diese Tugenden, diese Soft Skills, wie sie gerne genannt werden, wichtig sind! Aber dass diese „neuen“ Tugenden gegen urschweizerische wie Pünktlichkeit, Exaktheit, Verbindlichkeit und Qualität ausgetauscht werden sollen, das ist doch alarmierend. Denn wenn wir diese Vorteile oder Alleinstellungsmerkmale im internationalen Wettbewerb aufgeben, dann gibt es keinen Grund mehr in unserem Land zu produzieren oder einzukaufen. Dann wird jeder, der nur auf die Kosten schaut, seine Aufträge nach Indien, Taiwan oder China oder ein anderes Billiglohnland vergeben!

Warum ist das so, geschätzte Damend und Herren? Warum sind wir im Begriff unsere Wettbewerbsvorteile aufs Spiel zu setzen? Viele der heute im Arbeitsleben aktiven Schweizerinnen und Schweizer haben keinen Krieg mehr erlebt und auch keine Krise, die ihnen ans Lebendige ging. Natürlich sind auch heute noch allen die Ölkrise, die Bankenkrise oder die Eurokrise ein Begriff. Aktuell reden wir von der Ukraine- und Rubelkrise. Aber müssen oder mussten wir hier in der Schweiz deshalb einmal richtig zurückstecken? Essen wir weniger gutes Fleisch oder stellen wir die Heizungen freiwillig ein paar Grade tiefer? Nein, Fehlanzeige – eben nicht. Diese Krisen waren zu wenig existenziell, um ein Umdenken zu bewirken. Diese Krisen waren in ihrer Wahrnehmung zu wenig einschneidend, um das hart erarbeitete hohe Niveau unseres Lebensstandards nicht mehr als selbstverständlich zu erachten. Bitte verstehen Sie mich nun richtig. Ich will nun wirklich keinen Krieg und unterstütze auch keine Krisen. Aber ich möchte Sie zum Nachdenken und Agieren anregen!

Auch in diesem Zusammenhang vertrat Hannes Rohner in seinem Speech eine interessante Meinung. Der Zukunftsforscher sagte, dass bis zur Jahrtausendwende die „Vision Wohlstand“ unsere Gesellschaft in der Schweiz angetrieben und geprägt hat. Mehr, grösser, schneller, höher, tiefer, reicher und billiger sind die Schlagworte für diese Phase des Aufstiegs zwischen dem zweiten Weltkrieg und dem Jahr 2000. Nach der Jahrtausendwende setzte dann aber eine Werteverlagerung ein, hin zu Glücks-Streben und zu ideellen Werten. Angesagt ist seither die „Vision Lebensqualität“ – gesünder, natürlicher, genussvoller, sinnvoller, intelligenter und nachhaltiger soll unser Leben bitte schön sein.

Dass die notwendige Basis für diese „Vision Lebensqualität“ aber nur vorhanden ist, wenn auch der Wohlstand unserer Gesellschaft gesichert ist, dass scheinen viele zu vergessen. Oder zu verdrängen. Liebe Anwesende, wir leben aktuell in einer Zeit mit einem technologischem Höchststand UND mit einem höchsten Wohlstand. Und nur dieser Wohlstand erlaubt es uns, nach Glückseligkeit und Individualismus zu streben. Ohne diesen Wohlstand und die damit verbundenen finanziellen Sicherheiten hätten wir ganz andere Probleme, das können Sie mir glauben. Letztendlich sind die genannten Wohlstandstendenzen das Gegenteil von Leidensdruck und ich frage mich, was passieren muss, bis wir und unsere Gesellschaft das endlich realisieren. Realisieren, dass wir drauf und dran sind, unsere Errungenschaften, Sicherheiten und Marktvorteile kampflos aufzugeben.

Sie fragen sich jetzt sicher: „Was bitte schön, hat das mit uns zu tun, mit den Unternehmen und der Wirtschaft in der Zentralschweiz?“ Ganz einfach: Ich höre immer wieder, dass es viele Unternehmer bedauern, dass ihre Anliegen und Wünsche in Politik und Gesellschaft zunehmend weniger berücksichtigt werden. Es wird auch bemängelt, dass in der Politik die Kenntnis oder das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge fehlt. Und zudem werden die Rufe nach mehr Unternehmerpersönlichkeiten in der Politik immer lauter aber gleichzeitig wird es immer schwieriger, beruflich stark engagierte Persönlichkeiten für ein öffentliches Amt zu gewinnen.

Die Politik und vor allem die Parteien bedauern es ausserordentlich, dass sich Unternehmer zunehmend aus der Politik zurückziehen. Der sehr wertvolle Erfahrungsschatz und der unternehmerische Hintergrund fehlt dadurch in der politischen Debatte.

Geschätzte Damen und Herren, wir kennen die Lösung für diese Herausforderung schon längst, denn sie ist Teil des vorhin erwähnten Erfolgsmodells Schweiz: unser Milizsystem! Dieses Modell einer hauptberuflichen Anstellung im Unternehmen und einer nebenberuflichen Tätigkeit für eine öffentliche Behörde ist bestens erprobt und hat über Jahrzehnte zu einer engen Verflechtung von Wirtschaft und Politik geführt – es hat den Interessenausgleich sichergestellt und zu einem konstanten und konstruktiven Wissens- und Innovationstransfer beigetragen.

Das Milizsystem hat zusammen mit dem Föderalismus unser Land massgeblich geprägt und ermöglicht, dass günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen existieren und unser Staat im Vergleich relativ schlank und unbürokratisch daherkommt. Wer weiss, vielleicht steht die Ausdehnung der staatlichen Aktivitäten und das Erstarken der Verwaltung in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der zunehmenden Schwächung des Milizsystems?

Ein Teil der Schweizer Identität hat seine Wurzeln in der tief verankerten Idee, dass ein Gemeinwesen auf das freiwillige Engagement eines jeden angewiesen ist. Seit jeher ist das Milizsystem zentraler Bestandteil der politischen Kultur unseres Landes. Konsens, Dialog, Pragmatismus und politische Lösungen, die sich an realen Problemen orientieren, schaffen eine Nähe zwischen Kultur, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, um die uns viele andere Länder beneiden. Das Milizprinzip ist damit ein zentraler Faktor der Schweizer Erfolgsgeschichte.

Helfen Sie mit, diese Erfolgsgeschichte am Laufen zu halten und tragen Sie selber zu einem starken Milizsystem bei. Es ist im Eigeninteresse der Wirtschaft, weil dadurch eine Stärkung der Wirtschaftskompetenz und unternehmerfreundliche Regulierungen erwirkt werden können. Wenn Sie selber für ein aktives Engagement keine Zeit finden, dann unterstützen Sie fähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich für ein politisches Amt zur Verfügung stellen. Oder bringen Sie sich in ein in die politischen Diskussionen. Oder unterstützen Sie eine Partei, die für Ihre Vorstellungen und Werte kämpft. Und vor allem: gehen Sie wählen! Wir sind mittlerweile bei einer Abstimmungsbeteiligung von 50%! Unser erfolgreiches System der direkten Demokratie braucht die Stimme von allen und nicht nur der direkt Betroffenen!

Haben Sie wahrgenommen, wie lautstark sich beispielsweise Behinderten- und andere Organisationen im Kanton Luzern gegen die Einsparungen im Budget zur Wehr gesetzt haben? Über diese Demonstrationen wurde in den Medien berichtet – sie beeinflussen die öffentliche Wahrnehmung. Wer aber unterstützt die Kantonsregierungen bei Ihren Anstrengungen gegen das Wachstum im öffentlichen Sektor – geht da auch jemand medienwirksam auf die Strasse und sorgt für einen wirkungsvollen Support? Entschuldigen Sie, aber diese Kräfte habe ich in den letzten Wochen und Monaten beim besten Willen nicht wahrnehmen können. Leider.

Darum komme ich zurück zu den drei Worten, die ich Ihnen mit auf den Weg ins neue Jahr geben möchte: ENGAGIEREN SIE SICH! Engagieren wir uns gemeinsam und entschlossen in unserer Gesellschaft und setzen wir uns ein für unsere Werte, unsere Demokratie und unsere Errungenschaften. Kämpfen wir für unsere Tugenden und leben wir sie glaubwürdig vor. Damit auch die nächsten Generationen daran glauben, dass sich Pünktlichkeit, Exaktheit, Qualitätsdenken oder Verbindlichkeit auch in unserer individualisierten Zeit noch lohnen. Setzen wir uns ein, dass das Erfolgsmodell Schweiz eine Zukunft hat und weiterbestehen kann.

Ich wünsche Ihnen allen, geschätzte Anwesende, viele engagierten Diskussionen, Ausdauer,  Gesundheit, Zuversicht und viel Erfolg im 2015. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und darf Sie jetzt herzlich einladen zu einem anregenden Neujahrsapéro!