Hinter den eidgenössischen Räten liegt eine Session, die von technischen Geschäften wie AHV, BVG oder der Mehrwertsteuer geprägt war. Für viel Gesprächsstoff sorgte die Frage, ob die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial unter Einhaltung der Neutralität möglich sein soll. Die aktuelle Regelung gegen die Weitergabe von Rüstungsgütern stösst nicht nur bei unseren Partnern auf Unverständnis, sie schadet dem Rüstungsstandort Schweiz und vor allem der Glaubwürdigkeit unseres Landes massiv. Ja, in vielen Staaten stösst unsere Haltung auf unverhohlene Ablehnung und lässt die Schweiz sehr isoliert dastehen, auch in der westlichen Wertegemeinschaft – nicht gerade die beste Basis für künftige (bilaterale) Verhandlungen!
Im Ständerat diskutierten wir über Änderungen am Kriegsmaterialgesetz, vor allem aber diskutierten wir über unsere Neutralität. Kann man heute guten Gewissens neutral bleiben, wenn es um die Durchsetzung des Völkerrechts geht? Und wie neutral ist es, wenn wir Deutschland, Dänemark oder Spanien untersagen, vor Jahren bei uns gekaufte Munition oder Waffen an die Ukraine weiterzugeben? Ich stehe zur Neutralität unseres Landes, aber ich wehre mich gegen Denkverbote. Aktuell vermisse ich eine breit angelegte Debatte darüber, welches die sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz sind und inwiefern unsere Neutralität diesen noch gerecht wird. Denn weder die Wiederausfuhr von früher verkauftem Kriegsmaterial noch Sanktionen haben etwas mit Neutralitätsrecht zu tun. Das Haager Abkommen von 1907 über die Rechte und Pflichten von neutralen Staaten hält lediglich fest, dass diese keinen Krieg führen dürfen und alle Kriegsparteien gleich behandeln müssen.
Der Mythos hält sich hartnäckig, dass die Neutralität unser Land in den vergangenen 200 Jahren vor Kriegen bewahrt hat. Viele klammern sich krampfhaft an einen fast heilig anmutenden Neutralitätsbegriff, wollen zurück ins Réduit und eine allumfassende Neutralität in der Verfassung verankern. Es ist höchste Zeit, dass wir diese idealisierte Neutralitätsvorstellung einem Realitäts-Check unterziehen und offen darüber diskutieren, wie wir unsere in die Jahre gekommene, passive und isolationistische Neutralität in eine zeitgemässe, wertebasierte, proaktive und kooperative Neutralität reformieren können.
Kolumne Nidwaldner Zeitung